Und das mir!

Praxistest für interkulturelle Zusammenarbeit

Und das mir!

„Haben Sie eigentlich schon mal längere Zeit in einem anderen Land gelebt, Frau Junk?“ - Diese Frage hatte ich bei Auftragsgesprächen für interkulturelle Trainings oder workshops immer am meisten gefürchtet.

Zwar gab’s da monatelange Reisen,eine gründliche theoretische Ausbildung und erfolgreich durchgeführte Projekte. Doch endlich wollte ich dem kleinen Makel zu Leibe rücken: Ich kaufte mir ein Häuschen  in Südfrankreich, wo ich  gut ein Drittel des Jahres leben wollte. Land und Leute kannte ich schon von etlichen Urlauben, ja sogar erste Freundschaften waren gewachsen, nun hieß es nur noch, das Haus meinen Anforderungen entsprechend umzubauen, mir ein zweites Büro einzurichten..

..nur noch..! Heute nach gut 4 Jahren bin ich übern Berg, da gibt’s diese Momente nicht mehr, in denen ich das Haus am liebsten wieder verkauft hätte. Aber damals...

Da gab’s zum Beispiel diese kleineren Frustrationen, die entstehen, wenn man unbewußt davon ausgeht, daß alltägliche Dinge in einem anderen Land ebenso ablaufen wie im eigenen, kein Gedanke daran, daß das hier anders sein könnte.

Beim Wohltätigkeitsflohmarkt kaufte  ich einige Lose. „Wann werden denn die Gewinner gezogen“, begehrte ich zu wissen. Man beschied mich auf fünf Uhr nachmittags, ich könne  aber gern vorher schon mal nachfragen, was ich eine Stunde vorher dann auch tat. Oh nein, ich müsse schon bis 17.00 warten. Ich hatte Gäste und wollte rechtzeitig zu Hause sein, andererseits war da die Neugierde, und die siegte, ich blieb noch eine Stunde. Punkt fünf Uhr stand ich wieder am Tombolatisch.  Entrüstet teilte man mir mit, daß man doch ,jetzt noch nicht die Gewinner ziehen könne, „es sind doch noch nicht alle Lose vekauft, und Sie sehen doch selbst diese vielen wertvollen Gewinne! „ „Aber Sie haben doch gesagt, um fünf werden die Gewinner gezogen“, hielt ich fassungslos dagegen.  Madame begriff nicht; ich auch nicht.

Französische Freunde haben über meine Gutgläubigkeit herzhaft gelacht, als ich voller Verärgerung diese Geschichte erzählte. Das weiß man einfach, daß bei einer Tombola hier erst dann die Gewinner gezogen werden, wenn das letzte Los verkauft ist, wann immer das sei.

Schlimmer zugesetzt hatten mir andere Erlebnisse.

Den Wagen bis unters Dach mit Hausrat vollgepackt und ansstrengende 1.200 Autobahnkilometer in den Gliedern hielt mich nur die Zusage von Jo noch bei Laune: “Ann, wenn du das nächste Mal kommst, sind erster und zweiter Stock gemalt“. Eigentlich hätte ich schon mißtrauisch werden müssen bei seinen intensiven Versuchen, mir für die Innenwände Grobputz aufschwatzen zu wollen. Nein, ich bestand auf glatten Wänden, der Pastellfarbton exakt bestimmt, und nett provençalisch gewischt sollten sie sein, die Wände.

Endlich angekommen kam nachts um halb elf die erste große Krise: Alle Wände waren   mit weißem, groben Putz versehen. Der verdatterte Maler Jo, den ich mit wütendem Geschrei von seinem Fernseher zu Hause wegholte, verstand die Aufregung garnicht; alle hier würden diesen Putz schön finden, er wollte es doch auf jeden Fall fertigstellen für mich, war doch versprochen, und das mit dem Putz ging halt mit der Maschine am schnellsten....

Mit dem nächsten Maler wähnte ich mich schlauer. Der Kostenvoranschlag für die Fassadensanierung war bald erstellt, wenn ich das nächste Mal kommen würde, wollte er die Arbeiten innerhalb einer Woche fertiggestellt haben. Schon von Hamburg aus erinnerte ich immer wieder schriftlich und fernmündlich daran, daß er sich während der drei Sommermonate meiner Anwesenheit vor Ort eine Arbeitswoche für mich reservieren möge. „Aber sicher, Madame, machen Sie sich keine Sorgen,“ ist in solchem Falle die Beschwörungsformel zur Beruhigung der Kunden.

Kaum wieder im Lande rief ich schon bei ihm durch, damit wir uns gleich zur Detaillplanung verabreden können. Wann ich eigentlich wieder nach Deutschland fahre? - Ach, da hätten wir ja noch Zeit genug für die Arbeiten! hörte ich auf meine Bitte nach einem konkreten Datum zum Beginn der Arbeiten. Der Leser ahnt schon mein Malheur: Dem Maler, der offenbar wenig geneigt war, den für ihn nicht sonderlich lukrativen Auftrag auszuführen, gelang es tatsächlich, mich zwei Monate lang mit Beiträgen höchster Kreativität hinzuhalten, zwischendurch kam er sogar auch das eine oder andere Mal vorbei, zuletzt zwei Wochen vor meiner Rückreise. Da hieß es nicht mehr, wann ich denn abreise sondern wann ich denn wohl wiederkomme, damit er die Arbeiten dannmachen könne. Ich hatte zu der Zeit noch kein Gespür entwickelt für seine indirekte Art mir mitzuteilen, daß er keine Lust auf den Auftrag habe.

Am schlimmsten hatte ich jedoch gelitten unter den Begegnungen mit Vertretern der französischen Telecom. Meine berufliche Minimalausstattung, ein Fax-Telefon-Anrufbeantworter-Kombigerät war eine technische Frühgeburt und bei nahezu jedem meiner Aufenthalte zur Nachbesserung in der Reparatur. Nach zwei Jahren, diversen langen Nächten zum Thema „die Technik, eine Gebrauchsanleitung und ich“ , einigen Fahrten zum Reparaturservice, längeren Telefonaten mit zum Teil sehr hilfreichen Servicetechnikern ( „ja Madame, das ist ein Gerät der ersten Generation, ..wissen Sie, das ist jetzt besser geworden..“ ) riß mir der Geduldsfaden, ich wollte ein neues Gerät. Das sei leider nicht möglich, die Garantie sei gerade abgelaufen. Ich empörte mich zutiefst. Das Gerät sei insgesamt maximal 6 Monate in Gebrauch gewesen, davon noch teilweise zur Reparatur.

Es half alles nichts, ungerührt bestand die personifizierte Organisationsmacht in Gestalt eines gedrungenen ältlichen Katalanen vor mir auf den Fakten, die für die Telecom sprachen. Ich spielte auf allen Problemlösungsregistern, die ich mir in fünf Lebensjahrzehnten angeeignet hatte, vom Ruf nach dem Vorgesetzten über charmantes Flirten bis zum kindlich-verzweifelten Weinen: Nichts half. Und besonders half mir nicht, daß ich mir schon sogar während des Geschehens in der Situation aufgrund meines Theoriewissens selbst erklären konnte, warum das jetzt so ist wie es ist. Die ohnmächtige Wut blieb.

Was hat denn geholfen, trotz all der großen und kleinen Zusammenstöße, Enttäuschungen und Fallen für Unkundige, inzwischen eine zufriedene Wahlkatalanin geworden zu sein? 

Die ganz speziellen Stressbewältigungsstrategien, die ich mir über die Jahre vor dem Hintergrund meiner Therapieausbildungen erarbeitet habe, klingen scheinbar banal; ich gebe gern eine kleine Auswahl preis, wenn sie anderen Mut machen, sich auf einen ähnlichen Reifungsprozeß einzulassen.

1. Das Positiv-Tagebuch

Es ist wie bei der Liebe: Zu Beginn lassen wir uns gern verzaubern, wir genießen das Neue. Aus diesem Erinnerungs-pool ( wenn man dies denn aufzeichnet ) läßt sich gut schöpfen, wenn die Tage mal weniger zauberhaft werden.

2. Das Land „konsumieren“

In schwierigen Situationen habe ich mir verordnet, die Beschäftigung mit energieraubenden Hindernissen zu unterbrechen, um etwas zu tun oder zu genießen, was ich nur in diesem Land, nur bei diesen Menschen haben kann.

3. Die Außensicht der Insider einholen

Um nicht in die Falle zu tappen, Verhaltensweisen und Geschehnisse zu persönlich zu nehmen, ist ein enger Austausch mit „Landespaten“ extrem nützlich. Schlichte Sätze wie „das passiert uns allen hier“ oder „das kannst du nicht wissen, aber das geht hier so...“ können eine unglaublich heilsame Wirkung haben.

4. Stolzer Blick zurück

Wenn mich die Fülle der noch anstehenden Arbeiten zu erdrücken schien, habe ich einem imaginären Freund erzählt, wie alles angefangen hat, was ich alles schon bewältigt habe. Vieles wird so schnell selbstverständlich, der Kompetenzzuwachs in der Sprache, Wissen um spezielle Wege und Mittel..  So ein klein wenig Stolz ist ein gutes Gefühl, wenn sonst nur Ärger, Verdruß, ja sogar Verzweiflung vorherrscht.

5. Die Chauvi-Nummer

Wenn’s ganz arg kam, half manchmal nur noch diese Strategie: Ich erlaubte mir die schlimmsten Beschimpfungen und plattesten Verallgemeinerungen, die immer anfangen mit: DIE  Franzosen oder DIE  Katalanen…   sind alle so unzuverlässig, oberflächlich, leere Schwätzer und so weiter. Ein imaginierter Zuhörer bestärkte mich in meinen Beschimpfungen. „Richtig,  dieses Land ist eine einzige Zumutung für korrekt arbeitende Menschen... solange, bis sich bei mir Widerspruch regte. „Na ja, vielleicht  sollte ich nicht verallgemeinern, da gibt es ja noch...., und dies oder jenes hat ja auch eine positive Seite...

Diesen inneren Dialog habe ich solange fortgesetzt, bis ich wieder ausbalanciert war.

6. Die Stammtisch - Strategie

Diese mentale Problemlösungsmethode mag ich am liebsten. Ich stelle mir vor, wie ich die gerade erlebte Episode in Deutschland im Freundeskreis zum besten gebe, leicht zugespitzt und so erzählt, daß ich alle Lacher auf meiner Seite habe. „Ja ja, ihr habt gut Lachen, so aus der Entfernung ist das ja auch komisch.“  und schon habe ich mir in der Situation selbst diese Entfernung geschaffen; und immer schneller gelingt es mir, über mich zu lachen oder zumindest zu schmunzeln, über alle Mißverständnisse, alle ungewollten seelischen Beulen, die entstehen, wenn man sich auf eine andere Kultur einläßt.

Ach ja, und wenn mich heute ein Auftraggeber fragt, ob ich denn schon mal längere Zeit im Ausland gelebt habe, gibt es ein inhaltsschweres „oh ja...“ zur Antwort.

Literaturempfehlungen für überzeugte Theoretiker:

  • Culture and Interpersonal Communication, William B. Gudykunst, Stelle Taing-Toomey
  • Unterstanding Cultural Differences, Edward T. Hall, Mildred Reed Hall
  • Culture’s Consequenses, Geert Hofstede
  • Die seltsame Alchimie in der Zusammenarbeit von Deutschen und Franzosen, Jaques Pateau

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Autorin: Ann Junk, Trainerin und Beraterin für interkulturelle Fragen. Weitere Informationen unter http://www.annjunk.de.

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